Gebärdensprache: Bedarfe in der Beratungsarbeit
Gebärdensprache und Antidiskriminierung
Gebärdensprache ist Alltagssprache
Es ist offenkundig, dass taube Menschen einen speziellen Bedarf haben, um eine barrierefreie Kommunikation sicherzustellen. Für sie ist Gebärdensprache ihre Muttersprache. Diese Sprache beinhaltet eine eigene Systematik in Hinblick auf Vokabular, Grammatik und Syntax, die nicht 1:1 mit Schriftsprache vergleichbar und wiederzugeben ist. Schriftsprache stellt somit oft eine große Hürde für taube Menschen dar. Einige betrachten Schriftsprache sogar als eine Art Zweitsprache, die sie mühsam erlernten und in der sie sich nicht „Zuhause fühlen“. Zudem kann die Beherrschung der Schriftsprache nicht einfach vorausgesetzt werden.
Bereits im Jahr 2020 haben wir begonnen unser Beratungsangebot für taube Menschen inklusiv auszurichten. Angefangen mit einem Film in Gebärdensprache zur Vorstellung unserer Beratungsstelle haben wir zusätzlich einen direkten Kontakt zur Zielgruppe gesucht und uns mit dem Träger Sinneswandel e.V. vernetzt, mit dem seit 2021 eine feste Zusammenarbeit besteht. Zusätzlich sind wir in einem engen Austausch mit der Landesstelle für Gleichbehandlung gegen Diskriminierung (LADS Berlin) über Bedarfe bei der inklusiven Ausrichtung der Antidiskriminierungsarbeit und beraten uns regelmäßig.
Durch diese Bemühungen und Kooperationen kommen nun immer mehr taube Menschen als Ratsuchende zu uns.
Warum eine qualitativ hochwertige Übersetzung unerlässlich ist
Antidiskriminierungsberatung ist als Prozess zu verstehen. Oftmals ist zu Beginn noch nicht klar, wie lange eine Begleitung dauern wird und wieviel Gespräche geführt werden müssen. Dies hängt auch maßgeblich von der diskriminierungsverantwortlichen Seite ab, auf die wir keinen Einfluss haben. Die häufig komplexen sachlichen Inhalte sowie die Tatsache, dass es sich meist um die Schilderung emotional aufwühlender Erlebnisse handelt, unterstreichen die Unerlässlichkeit einer vertrauten Sprache im Beratungsgespräch.
Um dies zu gewährleisten, braucht es die fachliche Expertise und Qualität von staatlich anerkannten Gebärdensprachdolmetscher:innen.
Allerdings ist deren Einsatz mit hohen Kosten verbunden, die vollständig aus den Projektmitteln finanziert werden müssen und für andere Projektmaßnahmen dann nicht mehr zur Verfügung stehen.
Kosten für Gebärdensprachdolmetschung
- Der Honorarsatz für Gebärdensprachdolmetscher:innen liegt laut der aktuell gültigen Verwaltungsvorschriften für Honorare im Bereich Sozialwesen (HonVSoz) bei 85 €.
- In dieser Kostenregelung sind ebenfalls Wegezeiten entsprechend zu vergüten und jeweils angefangene Viertelstunden.
- Zusätzlich ist eine sogenannte Technikpauschale in Höhe von 18 €/Std. vorgesehen, die zum Beispiel für Online-Beratungen berechnet werden kann.
- Alle Posten zusammengenommen ergibt sich bereits für eine einstündige Beratung ein Preis von mind. 103 €.
- Zu berücksichtigen ist, dass in der Regel mehrere Beratungseinheiten pro Fall notwendig werden.
Nicht selten übernehmen Freund:innen oder Angehörige der Ratsuchenden die Rolle der Gebärdensprachdolmetscher:innen, was eine wichtige Hilfe ist, jedoch ist auf diesem Wege keine ausreichende fachliche Qualität sichergestellt.
Sprache im Alltag von tauben Menschen
Das gleiche Problem zeigt sich viel drastischer noch im Alltag von tauben Menschen, denn hier sind sie fast permanent mit Barrieren die Kommunikation betreffend konfrontiert.
Dazu berichtet ein Ratsuchender, der bei uns in der Beratung war:
» Im Alltagsleben stoße ich auf kommunikative Barrieren, sobald ich mit der hörenden Gesellschaft in Berührung komme und werde somit direkt von der Teilhabe am der Gesellschaft ausgegrenzt - da sowohl die Lautsprache als auch die Schriftsprache in der breiten Gesellschaft vorherrschend sind, z.B. beim Einkauf in einer Bäckerei, wenn ich Fragen nach Zutaten in einem Brot habe. Es ist auch schon vorgekommen, dass mein Wunsch nach einer bestimmten Frisur nicht erfüllt worden ist und es stattdessen ein nicht gewünschtes Ergebnis ergeben hat. Verschiedene Interessen zu entwickeln ist mir in vielen Fällen nicht möglich, da viele Angebote für mich nicht barrierefrei sind.
Durch die kommunikative Barriere sehe ich mich z.B. nicht in der Lage, einen künstlerischen Workshop (Theater, Malerei), eine Museumsführung oder eine kulturelle Veranstaltung/Aufführung zu besuchen. Es gibt viele kulturelle Angebote, die ich gerne besuchen möchte, was aber ohne Gebärdensprachdolmetschenden nicht möglich ist.
Auch möchte ich gerne durch den persönlichen Austausch mit hörenden Personen mehr Informationen und Wissenserweiterung zu bestimmten gesellschaftlichen Themen, wie z.B. Politik, Kunst, Kultur haben. Im Bereich der Gehörlosencommunity gibt es nur sehr wenige Veranstaltungen zu den mich interessierenden Themen, auch gibt es keine oder nur sehr wenige Fachleute, die eine Beratung in Gebärdensprache durchführen können.
Zu bestimmten Themen sind detaillierte Informationen sehr wichtig, wie z.B. beim Thema Versicherung oder Finanzen. Hier gibt es für mich in Berlin bisher keine Möglichkeit, eine barrierefreie Beratung durch eine Fachperson zu erhalten. Durch eine barrierefreie Beratung kann ich bestimmte Risiken vermeiden oder bessere Chancen für meine Person erfahren.«
Was Sie als Einrichtung, Organisation oder Verein tun können
Mit der Einführung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) sind grundsätzlich Verbesserungen für Menschen mit Behinderungen erwirkt worden. Dazu gehört z.B. auch, dass die Leistungen zur Förderung der Verständigung mit der Umwelt, wozu auch Gebärdensprachdolmetschung gehört, ausgeweitet wurden.
So sieht § 82 SGB IX vor, dass Kommunikationshilfen aus „besonderem Anlass“ bewilligt werden, wozu bspw. Kulturveranstaltungen gehören. Allerdings kommt eine Antragstellung oftmals einer langwierigen und kräftezehrenden Prozedur für die betroffene Person gleich. Viele Betroffene warten zum Teil viele Monate auf ein Ergebnis, das dann oftmals nicht den gewünschten und tatsächlichen Bedarfen der Antragsteller:innen entspricht.
Die bürokratischen Hürden sind aus unserer Sicht in diesem Bereich nach wie vor sehr hoch; ferner lässt sich festhalten, dass eine umfassende Sensibilisierung über die Lebensrealitäten tauber Menschen in der Gesellschaft nötig ist. Besonders wichtig erscheint auch die Schulung von Fachkräften in den Leistungsabteilungen des Sozial- und Gesundheitswesens, um Barrieren aktiv abbauen zu können.
Es darf nicht sein, dass aufgrund fehlender Ressourcen und fehlender Sensibilisierung der hörenden Mehrheitsgesellschaft tauben Menschen weiterhin nötige Zugänge verwehrt bleiben. Die Umsetzung und Gewährleistung diskriminierungsfreier bzw. barrierefreier Zugänge im Sinne einer Bereitstellung von Budgets in angemessener Höhe für taube Menschen als auch für Beratungsangebote wie unseres muss Aufgabe des Staates sein. Andernfalls wird ein strukturelles Problem individualisiert: taube Menschen müssen selber dafür Sorge tragen, dass sie sich z.B. mit Hilfe von Freund:innen, die hörend sind und die Gebärdensprache beherrschen, Zugänge ermöglichen. Dies ist jedoch der falsche Ansatz.
Letztendlich muss es um die Sicherstellung einer individuellen Teilhabe gehen, bei der der einzelne Mensch mit seinen Wünschen im Mittelpunkt steht und diese selbstbestimmt erfüllen kann.
Sie könnten z.B.
- deutlich machen, dass taube und schwerhörige Menschen bei Ihnen willkommen sind
- in Gebärdensprach-Videos über Ihr Angebot informieren
- Kontakt mit Organisationen aufnehmen, die diese Information auch in der Gebärdensprach-Community verbreiten können
- Ihre Mitarbeiter:innen sensibilisieren und informieren
- einen direkten Kontakt zu tauben Menschen und der Community suchen
- und vieles mehr...
Mögliche Ansprechpartner:innen und Links
- Berufsverband der Gebärdensprachdolmetscher/-innen Berlin/Brandenburg (BGBB) e.V.
- Zentrum für Kultur und visuelle Kommunikation der Gehörlosen Berlin / Brandenburg e.V.
- Lebendige Gebärden
Weiter zu: Leichte und Einfache Sprache
Weiter zu: Barrierefreiheit für Menschen mit geringen Lese- und Schreibkompetenzen
Zurück zur Übersichtsseite