Projekterweiterung der Antidiskriminierungsberatung Alter oder Behinderung um das Merkmal chronische Erkrankung!
Projekterweiterung der Antidiskriminierungsberatung um das Merkmal chronische Erkrankung
Online-Veranstaltung am 01.07.2021 von 16.00 Uhr bis 17.30 Uhr
Die Antidiskriminierungsberatung (ADB) der Landesvereinigung Selbsthilfe e.V. vertritt seit dem 1. Juli 2021 neben den Merkmalen Alter und Behinderung auch das Merkmal chronische Erkrankung. Anlässlich dieser Projekterweiterung hat die ADB am 1. Juli eine Online-Auftaktveranstaltung durchgeführt. Mit ca. 30 Teilnehmenden aus Selbsthilfeorganisationen, Beratungsstellen und weiteren Institutionen fand die Veranstaltung regen Zuspruch.
Die Initialzündung für diese notwendige Erweiterung gab das vor einem Jahr in Berlin in Kraft getretene Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG), in das chronische Erkrankung als zu schützendes Merkmal aufgenommen wurde. Auf sachlicher Ebene gilt das LADG für öffentlich-rechtliches Handeln des Landes Berlin (§ 3 LADG), also für alle öffentlichen Stellen.
Die Veranstaltung hatte zum Ziel, die Projekterweiterung feierlich bekannt zu machen und offen zu diskutieren, welche Bedeutung das neue Merkmal für die Antidiskriminierungsberatung hat.
Mit einem einladenden und herzlichen Grußwort unterstrich Marlene Kölling (Leitung des Referats für Rechts- und Ombudsangelegenheiten der Antidiskriminierungspolitik, SenJustVA) die Bedeutung der neuen Thematik. Sie ist überzeugt, dass die ADB ihre erfolgreiche Arbeit mit den Merkmalen Alter und Behinderung auch im Kontext des neuen Merkmals chronische Erkrankung fortführen wird.
Die Mitarbeiterinnen der ADB, Frau Witkowska, Frau Heidrich und Frau Ackermann stellten im ersten Teil ihres Vortrags die Arbeitsweise und die zentralen rechtlichen Grundlagen der Antidiskriminierungsberatungsstelle vor – Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und LADG. Die Durchsetzung der Rechte Betroffener ist das vornehmliche Anliegen der ADB. Seit kurzem ist die Landesvereinigung Selbsthilfe Berlin berechtigt, eine Verbandsklage zu führen. Im zweiten Teil des Vortrags drehte es sich um verschiedene Definitionen chronischer Erkrankung. Eine eindeutige und allgemeingültige Definition gibt es nicht. Und wie ist das Verhältnis von chronischer Erkrankung zu Behinderung? Auch das ist oftmals nicht klar. Im LADG stehen die Merkmale Behinderung und chronische Erkrankung gleichberechtigt nebeneinander. Im AGG ist chronische Krankheit nur dann geschützt, wenn sie als Behinderung anerkannt wird, dies verdeutlichte der dritte Teil des Vortrags, der auch Praxisbeispiele skizziert und auf wesentliche Informationsmaterialien der Landesvereinigung Selbsthilfe und ihrer Kooperationspartner aufmerksam macht.
Anschließend stellte Dr. Doris Liebscher (Leiterin der LADG-Ombudsstelle) die Arbeitsinhalte der Ombudsstelle vor. Die konkreten Aufgaben liegen in der Information, Beratung, Schlichtung und Beanstandung mit dem Ziel der Durchsetzung der LADG-Rechte. Prinzipiell gibt es viele Gemeinsamkeiten mit der ADB. Ein zentraler Unterschied ist, dass die Ombudsstelle durch das LADG ein gesetzliches Mandat hat, so dass von der Ombudsstelle kontaktierte Einrichtungen Stellung beziehen müssen.
Zwischen dem 1. Juli 2020 und dem 1. Juli 2021 gab es insgesamt 350 Beschwerden – 126 davon „rassistische Zuschreibung oder ethnische Herkunft“, 108 „Behinderung oder chronische Krankheit“ sowie weitere Merkmale. Einzeln betrachtet waren es bei „Chronischer Krankheit“ bereits 30 Beschwerden.
Zum Ende der Veranstaltung wurden in einer kurzen Diskussionsrunde individuelle Diskriminierungserfahrungen geschildert und strukturelle Themen wie barrierefreie Arztpraxen angesprochen.
Die Veranstaltung hat die Relevanz des Themas chronische Erkrankung in verschiedenen Facetten deutlich gemacht. Grundsätzlich bedeutet die Projekterweiterung für die ADB Alter, Behinderung, chronische Erkrankung noch gezielter gegen Diskriminierung aufgrund von chronischer Krankheit vorgehen zu können, Betroffene noch besser beraten und vertreten sowie öffentlichkeitswirksamer agieren zu können. Die künftige Praxis wird zeigen, was das im Einzelnen heißt und welche konkreten Handlungsempfehlungen sich für die Beratung ergeben. Sicher ist, dass ein Wissenstransfer zwischen den Berliner Akteur:innen für den gemeinsamen Lernprozess in diesem Bereich von zentraler Bedeutung ist.
Wünschenswert bleibt eine Novellierung des AGG, in die das Merkmal chronische Erkrankung aufgenommen wird, so dass auch im Arbeitskontext entsprechende Diskriminierungen rechtlich geltend gemacht werden können.